
Vorsitzende des Kuratoriums Susanne Breit-Keßler, ehemalige Bischöfin und Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates
Einfach nur sensibel
von Susanne Breit-Keßler
Eine Lehrstunde in Menschlichkeit. Kinderpsychologin und Traumaexpertin Birga Gatzweiler doziert mit viel Wärme über traumasensible Begleitung von schwerstkranken, von sterbenden Kindern und ihren Familien. Sie sprach vor dem Kuratorium des Fördervereins Kinderpalliativzentrum Großhadern, dem ich vorsitzen darf. Unser Herzensanliegen ist es, für diese Kinder mit ihren Angehörigen zu tun, was wir können – stationär und ambulant.
Birga Gatzweiler beschreibt innere Notfallprogramme eines Menschen, der in einer Extremsituation weder kämpfen noch fliehen kann. Dem nur noch „freeze and fragment“ bleiben, Erstarrung und das Zersplittern und Wegdrücken furchtbarer Erlebnisse. Ein Trauma rührt her von Ereignissen, die körperlich und emotional höchst bedrohlich sind – und tiefe Auswirkung haben auf alles, was einen Menschen ausmacht.
Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher schwerst erkrankt, bringt das komplexe medizinische Eingriffe und oft viele Krankenhausaufenthalte mit sich. Besonders arg ist, sollte ein Unfall oder eine Straftat Hintergrund der Gefahr für Leib und Leben sein. Oder Kinder und Familien, die Krieg und Flucht erlebt haben, müssen nun auf neue Weise um ihr Leben kämpfen. Hier wirklich sensibel zu kommunizieren ist keine leichte Aufgabe.
Aber eine, die, soweit es irgend möglich ist, auch Trost schenkt. Denn neben einer exzellenten Medizin tragen Nähe, Zuwendung, Geborgenheit und Verständnis dazu bei, umfassend überwältigende Situationen behutsam anzugehen. An einem Trauma zu arbeiten, macht nichts ungeschehen. Aber es kann helfen, quälende Ereignisse und Erfahrungen in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren – so mühsam und schmerzlich das ist.
Traumasensible Begleitung bedeutet, das Gegenüber mit seiner Geschichte wahrzunehmen, nicht zu bewerten, sondern freundlich anzunehmen, wie er oder sie gerade ist. Es heißt, einfühlsam zu sein und niemanden zu nötigen, alles immer wieder haarklein zu erzählen und zu durchleiden. Traumatische Erlebnisse verlangen danach, Gründe für scheinbar schwierige Reaktionen zu akzeptieren, auch wenn man selber alles ganz anders machen würde.
Sie verlangen danach, dass diejenigen, die helfen, Sicherheit, Ordnung und Struktur vermitteln. Dass sie in der Not einfach da sind – einen ernstnehmen und so reden, dass man lernt, zu verstehen, was mit einem selber und mit anderen geschehen ist und geschieht. Liebevolle, warmherzige Sprache ist unverzichtbar – eine, die aufatmen, Kraft tanken und Mut schöpfen lässt, für die Wege, die vor einem liegen.
Am Ende des Vortrags von Birga Gatzweiler sinniere ich, wirklich bewegt von diesen Worten, vor mich hin: „So miteinander umzugehen, wäre im Alltag, ohne jede Not, auch genau das Richtige.“ „Ja“, sagt die Fachfrau mit einem zarten Lächeln. Beim Reden über das Sterben habe ich wieder mal fürs ganze Leben gelernt.