Barbara Becker — Logopädin

Barbara.Becker@med.uni-muenchen.de

Logopädie in der Kinderpalliativmedizin

Lena ist 6 Monate alt, als sie zum ersten Mal mit ihren Eltern ins Kinderpalliativzentrum München zur stationären Aufnahme kommt. Die Familie erhielt kurz zuvor die Diagnose, die mit einem Schlag das ganze Leben änderte: Lena leidet an einer unheilbaren und rasch fortschreitenden Erkrankung des Nervensystems, die mit dem Verlust der intellektuellen und motorischen Fähigkeiten einhergeht.

Als die Familie die Diagnose erhält, zeigt Lena bereits deutliche Schwierigkeiten beim Füttern. Immer häufiger verweigert sie das Fläschchen, verschluckt sich vermehrt und ist geplagt von Unruhephasen und Schreiattacken. Schnell zeigt sich, dass die Nahrungsaufnahme über den Mund nicht mehr möglich ist, da das Risiko des Verschluckens zu hoch ist. Lena bekommt daraufhin eine Magensonde, um die nötigen Nährstoffe zu erhalten, und logopädische Unterstützung. Ziel der Logopädie ist hier, Lenas Fähigkeiten im Bereich der Mund- und Gesichtsbewegungen so zu stärken, dass sie ihren Speichel so lange wie möglich selbständig schlucken kann. Durch die logopädische Förderung schafft es Lena, dass der Speichel weniger häufig von ihren Eltern abgesaugt werden muss und sie sogar wieder anfängt, einige Löffel Brei zu schlucken, die ihr sichtlich schmecken.

 

Lena ist beileibe kein Einzelfall im Kinderpalliativzentrum. Grundlegende Fähigkeiten wie Sprechen, Essen, Schlucken und auch das Atmen werden durch die Erkrankungen, die bei sehr vielen Kindern das Nervensystem betreffen, immer schwieriger. Die logopädische Therapie bezieht sich daher im Wesentlichen auf zwei Aspekte: die Verbesserung der Kommunikations- und der Schluckfähigkeit.

Im Allgemeinen beschäftigt sich die Logopädie mit der Diagnostik, Therapie und Beratung bei Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Die Behandlung im Rahmen der Palliativversorgung unterscheidet sich jedoch stark von der „klassischen“ Logopädie in Rehabilitations-Einrichtungen: In der Palliativmedizin geht es darum, die Lebensqualität zu verbessern und das durch krankheitsbedingte Symptome und Einschränkungen verursachte Leiden zu lindern.

Im Kinderpalliativzentrum liegt der Fokus der Logopädie meist auf der Behandlung schwerer Schluckstörungen, vom Säuglings- bis ins junge Erwachsenenalter. Diese entstehen aufgrund von neurologischen Erkrankungen oder Muskelschwäche und können zum unangenehmen Verschlucken führen, also dem Eindringen von Speichel, Nahrung und Flüssigkeit in die Atemwege. Wiederholtes Verschlucken kann zu Lungenentzündungen, Atemnot und Mangelernährung führen.

Ein gesunder Mensch schluckt, wenn er wach ist, seinen Speichel ca. einmal pro Minute. Das ist für die Kinder im Kinderpalliativzentrum häufig nicht mehr möglich. Zudem können viele Kinder mit neurologischen Erkrankungen den komplexen Saug- und Schluckvorgang nicht mit der Atmung koordinieren. Die damit verbundenen negativen Erfahrungen können zu Nahrungsverweigerung und Gedeihstörungen führen.

Unsere Aufgabe besteht darin, frühzeitig den Kindern positive Erfahrungen bei der Nahrungsaufnahme zu ermöglichen. Besonders bei schwer neurologisch erkrankten Säuglingen und Kleinkindern kann dies durch Übungen zu Körperwahrnehmung und Muskelspannung erfolgen, unter Einbeziehung aller Sinne. Wichtig sind dabei z.B. die Anbahnung und Unterstützung von Saugaktivitäten, die Massage von Händen und Füßen, Fingerspiele und das Unterstützen des Hand-Mund-Kontaktes. Das Saugen an den eigenen Fingerchen hilft bei sehr sensiblen Kindern, den Würgreflex zu verringern und das Schlucken zu erleichtern.

Das Angebot verschiedener Geschmacksreize erhöht die Lebensqualität, das Abschlecken von Nutella oder Honig an den Lippen motiviert und aktiviert zusätzlich die Mund- und Gesichtsmuskeln. Zum spielerischen Erlernen von Kaubewegungen werden dann auch mal Gummibärchen in Mullbinden als „Zaubersäckchen“ eingepackt.

Manchmal ist nicht absehbar, wie die Entwicklung der Kinder verlaufen wird. Dann versuchen wir, die vorhandenen Fähigkeiten durch gezielte Förderung so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Andererseits überraschen uns die Kinder immer wieder auch:

Die kleine Hannah schaffte es, durch gezielte Kräftigung ihrer Mundbewegungen, immer mal wieder kurz an Mamas Brust zu trinken, obwohl sie zuvor wochenlang auf eine Magensonde und eine Beatmungsmaschine angewiesen war. Auch nach Hannahs Tod bleiben ihren Eltern und uns die Erinnerungen an die schönen gemeinsamen Momente mit ihr – und für ihre Mutter die wunderbare Erfahrung, ihr Kind stillen zu können.

Durch die Einbeziehung der Eltern und den Austausch mit den anderen Fachdisziplinen wie Ergo- und Physiotherapie, Heilpädagogik und Psychologie, sowie die enge Zusammenarbeit mit den Ärzten und den Pflegenden hoffen wir, den Alltag der Kinder und ihrer Familien durch Geschmack und Genuss ein Stück bunter und reicher zu gestalten und das Leben mit der schweren Krankheit gemeinsam ein wenig zu erleichtern.

Barbara Becker

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